Museumsbrief Nr. 19, 1/2013, Die Bestandsentwicklung winterschlafender Fledermäuse im Kaolinstollen von Abtsroda (1978-2007)

Von: Lothar Herzig
auf 01 Januar 2013

Die Bestandsentwicklung winterschlafender Fledermäuse im Kaolinstollen von Abtsroda (1978-2007)

Lothar Herzig - 2013

 

Am östlichen Ortsrand von Abtsroda  (UTM: 32  U  565872  5595413)befindet sich in einer Höhe von 716m NN ein Bergbaustollen mit einer Tiefe von ca. 60 Metern. Bereits im Jahr 1735 wurde hier Tonerde abgebaut (KRAMER 1979). Der Stollen als unterirdisches Bauwerk ist seit 1783 bekannt (Voigt 1783).

Neben seiner Bedeutung als  geologisches Forschungsobjekt hat sich die Höhle seit Mitte der 1980iger Jahre zu einem regional bedeutenden Überwinterungsquartier für Fledermäuse entwickelt. Seine hohe Luftfeuchtigkeit im frostfreien hinteren Teil und der allmähliche Temperaturgradient im Eingangsbereich kennzeichnen es als geeignetes Winterquartier für wärmeliebende und ausdauernde Winterschläfer wie das Große Mausohr (Myotis myotis) sowie für Fledermausarten mit höherer Temperaturplastizität wie beispielsweise das Braune Langohr (Plecotus auritus). Im Gegensatz zu vielen anderen Rhöner Winterquartieren hat der Stollen keine verwinkelten Spalten, wodurch nahezu alle Fledermäuse erfassbar sind.

Monitoring

Der Fuldaer Fledermausforscher Dr. Harald Pieper erkannte bereits in den 1970iger Jahren die Eignung des Stollens für überwinternde Fledermäuse. Gemeinsam mit dem Verfasser beging er dieses Quartier regelmäßig Ende Dezember in den Wintern 1978 bis 1998. Im Zeitraum 1999 bis 2002 registrierte alleine der Verfasser, während das Institut für Tierökologie und Naturbildung die Erfassungen von 2003 bis 2007  im Rahmen eines  Monitorings zum Planungsvorhaben Milseburg-Radweg fortführte. Hierbei wurden allwinterlich vier Zählungen durchgeführt, deren Maximalwerte in den grafischen Darstellungen der Bestandsentwicklung berücksichtigt wurden.

Landesweit erstes Schutzprojekt

Einlagerungen von Hausmüll und Beeinträchtigungen der Fledermaus-Hangplätze durch Fackelträger häuften sich in den ersten Erfassungsjahren. Durch die damalige Fuldaer Außenstelle der BFN (Bezirksdirektion für Forsten und Naturschutz) unter der Leitung von Ewald Sauer wurde im Sommer 1983 eine geeignete Sicherung des Stollens durch den Einbau eines Fledermausgitters, entsprechend den Empfehlungen von ROER (1971) und BLAB (1980), realisiert. Diese und ähnliche Aktionen im gleichen Jahr an mehreren Fledermausquartieren im Landkreis Fulda, die vom Verfasser angeregt wurden, zählten zu den ersten Schutzmaßnahmen in Hessen. 

Bei der Konstruktion des Stollenmundverschlusses wurde besondere Rücksicht auf die Erhaltung des Mikroklimas gelegt, um den Temperaturgradienten des Quartiers weitgehend zu erhalten  (NAGEL et al. 1991und 1993). Hierdurch wurde auch den Arten mit einem breiteren und kälteren Spektrum favorisierter Hangplatztemperaturen wie dem Braunen Langohr (Plecotus auritus), der Bartfledermaus (Myotis mystacinus /Myotis brandtii) und der Fransenfledermaus (Myotis nattereri) Rechnung getragen (Abb.1).

Abb 1
Abb.1: Vergitterter Stolleneingang im Herbst 1983

 

Entwicklung des Fledermausbestands

Bereits im Winter nach der Vergitterung stieg die Zahl überwinternder Fledermäuse im Kaolinstollen an. Die bis 2005 anhaltende Zunahme wurde nicht alleine durch die Schutzmaßnahme, sondern auch durch die langsame Erholung der Fledermausbestände im gesamten Mitteleuropa bewirkt (Abb. 2).

Abb 2

Abb. 2: Bestandsentwicklung überwinternder Fledermäuse im Kaolinstollen Abtsroda von 1978-2007 (n=815) nach Daten von 1978-1998 PIEPER u. HERZIG, 1999-2002 HERZIG, 2003-2007,  INSTITUT FÜR TIERÖKOLOGIE (2008)


Die Zahl der Fledermausarten entwickelte sich von 1 Art im Winter 1978 über unregelmäßig  4-5 Arten in den 1990iger Jahren auf konstant 5  überwinternde Arten im Zeitraum 2001 bis 2007 (Abb. 3).

Abb 3
Abb. 3. Zahl überwinternder Fledermausarten im Kaolinstollen Abtsroda

 

Großes Mausohr (Myotis myotis) - FFH-Anhang II & IV-Art

Den größten  Anteil am Zuwachs der Überwinterer und damit der regionalen Bedeutung des Quartiers in der hessischen Rhön hatten die europaweit durch die FFH-Richtlinie im Anhang II besonders geschützten Großen Mausohren. Ihre Zahl stieg von 2-4 Individuen in den Wintern vor der Vergitterung stetig auf das Maximum von 50 im Winter 2005. Auf den gesamten Untersuchungszeitraum bezogen lag ihr Anteil bei ca. 70 Prozent (Abb. 4 und 5).

Abb 4

Abb. 4: Vergleich der winterschlafenden Mausohren (n=563) mit der gesamten Winterpopulation (n=815)

 

Abb 5
Abb. 5: Winterschlafendes Mausohr an kaolinhaltiger Versinterung 

 

Erster Nachweis einer Wasserfledermaus (Myotis daubentonii) im Kreis Fulda - FFH-Anhang IV-Art

Erstmals am 24.12.1983 fanden Harald Pieper, Gerold Herzig und der Verfasser eine männliche winterschlafende Wasserfldermaus frei hängend an einer Seitenwand der Höhle (Abb. 6) Es war der erste Nachweis dieser Fledermausart im Kreis Fulda. In den folgenden Jahren etablierte sich die Art hier als regelmäßiger Wintergast mitlangsam steigenden Zählwerten. Die positive Entwicklung dieser Fledermausart war Ausdruck einer allgemeinen Zunahme von Wasserfledermäusen im Mitteleuropa der 1980iger Jahre.

Abb 6
Abb. 6: Mit Kondenstropfen bedeckte Wasserfledermaus- Erstbeobachtung im Kreis Fulda

 

Braune Langohrfledermaus (Plecotus auritus) - FFH-Anhang IV-Art

Beinahe alljährlich überwinterten Braune Langohrfledermäuse im Tonstollen. Ihre Individuenzahlen schwankten innerhalb weniger Jahre jedoch sehr stark. Die Maximalzahl von 7 Tieren wurde in den Wintern 1997 und 1998 angetroffen.

Allgemein deuten bekannte Überwinterungsquartiere wie Baumhöhlen, Blockhalden und Holzstapel auf eine Vielzahl alternativer Überwinterungslokalitäten dieser waldbewohnenden Fledermausart hin (Dietz et al. 2007). Die Schwankungen von Individuenzahlen winterschlafender Brauner Langohren  erschwert  die  Ableitung  von Bestandstrends und die Beurteilung des Erhaltungszustands dieser Art anhand von Winterdaten.

Fransenfledermaus (Myotis nattereri ) - FFH-Anhang IV-Art

Seit 1993 überwinterten Fransenfledermäuse auch im Kaolinstollen, nachdem schlafende Einzeltiere dieser Art in der hessischen Rhön erstmals 1966 bei Gersfeld durch Pieper (PIEPER 1971, FELTEN & Kock 1979) und im Winter 1988 vom Verfasser in Poppenhausen und Eiterfeld-Reckrod beobachtet wurden. Die Zahl der Winternachweise in Abtsroda war im Monitoringzeitraum stets gering, stieg aber bis 2006 allmählich an. 

Im Winter 2007 wurde die Höchstzahl von 11 Fransenfledermäusen im Stollen festgestellt (INSTITUT FÜR TIERÖKOLOGIE UND NATURBILDUNG 2008).

Bartfledermaus (Myotis mystacinus/Myotis brandtii) - FFH-Anhang IV-Arten

In geringer Zahl und mit starken Bestandsschwankungen überwinterten in Abtsroda seit 1980 auch Bartfledermäuse. Um Störungen der Tiere zu vermeiden, wurde bis 2002 auf eine Unterscheidung beider Arten verzichtet. Ab 2001 war eine Zunahme der Individuen auf bis zu 9 Tiere im Winter 2007 zu beobachten (INSTITUT FÜR TIERÖKOLOGIE UND NATURBILDUNG 2008).

Bechsteinfledermaus (Myotis bechsteinii) - FFH-Anhang II & IV-Art

Die Bechsteinfledermaus gilt als die am stärksten an den Lebensraum Wald gebundene einheimische Fledermausart (MESCHEDE & HELLER 2002). Als FFH-Anhang II-Art ist sie europaweit stark geschützt. Im Untersuchungszeitraum wurde sie nur selten und sehr unregelmäßig als Überwinterer in unterirdischen Quartieren der hessischen Rhön angetroffen. So auch im Kaolinstollen, in dem Einzeltiere in den Wintern 1984 und 1991 registriert wurden.

In der bayerischen Rhön scheint die Bechsteinfledermaus deutlich häufiger zu sein. Aber auch hier sind, trotz der vergleichsweise hohen Nachweisdichten, die Winterquartiere der meisten  Bechstein-Populationen noch nicht bekannt (MESCHEDE & RUDOLPH 2004).

Zusammenfassung  

Im Zeitraum 1978 bis 2007 überwinterten 6 Fledermausarten im Abtsrodaer Tonstollen: Großes Mausohr (Myotis myotis), Wasserfledermaus (Myotis daubentonii), Braunes Langohr (Plecotus auritus), Fransenfledermaus (Myotis nattereri), Bartfledermaus (Myotis mystacinus/Myotis brandtii) und Bechsteinfledermaus (Myotis bechsteinii). Das Quartier entwickelte sich nach den Schutzmaßnahmen im Sommer 1983 zu einem der bedeutendsten Fledermaus-Winterquartiere der hessischen Rhön.


Danksagung

Mein besonderer Dank gilt Dr. Harald Pieper, der mein Interesse auf den Abtsrodaer Kaolinstollen und auf die wissenschaftliche Betrachtung der Fledermäuse lenkte. Ihm verdanke ich viele aktuelle Einblicke in die Fledermausforschung und schöne Erlebnisse mit Erstnachweisen von Arten in unserer Region.


Literatur

BLAB, JOSEF (1980): Grundlagen für ein Fledermaus-Hilfsprogramm. Themen der Zeit, Heft 5, 44 S., Kilda-Verlag, Greven.

DIETZ, C., v. HELVERSEN, O.,& NILL,D. (2007): Handbuch der Fledermäuse Europas und Nordwestafrikas. Biologie, Kennzeichen, Gefährdung. Kosmos Verlag. Stuttgart.

INSTITUT FÜR TIERÖKOLOGIE UND NATURBILDUNG (2008): Monitoring von Fledermäusen in Winterquartieren der Hessischen Rhön – Abschlußbericht. Gonterskirchen, 35 S.

FELTEN, H. & KOCK, D. (1979): Fledermausbeobachtungen in Gebieten des südlichen West-Deutschland 1945 – 1979. In: Zoologisches Forschungsinstitut und Museum Alexander König (Hsrg.): Myotis XVI: 3-82.

KRAMER, ERNST (1979): Abtsröder Erde – Ein Kaolinlager in der Rhön. Jahrbuch des Landkreises Fulda. S. 75-80.

MESCHEDE, A. & HELLER, K.-G. (2002): Ökologie und Schutz von Fledermäusen in Wäldern – unter besonderer Berücksichtigung wandernder Arten. In: Bundesamt f. Naturschutz (Hrsg.) Schr.R. Landschaftspfl. Natursch. Heft 66: 1-374.

MESCHEDE, A. & B.-U. RUDOLPH (2004): Fledermäuse in Bayern, 411 S., Stuttgart-Hohenheim.

NAGEL, ALFRED & RAINER NAGEL (1991): Remarks on the problem of optimal ambient temperatures in hibernation bats. Myotis Bd. 29, Bonn, S. 109-114.

NAGEL, ALFRED & RAINER NAGEL (1993):Bestandsentwicklung winterschlafender Fledermäuse auf der Schwäbischen Alb. Beih. Veröff. Naturschutz Landschaftspflege Bad.-Württ., Bd. 75, S. 97-112, Karlsruhe.

PIEPER, H. (1971): Weitere zehn Jahre (1961–1970) Fledermausberingung im Raume Fulda. – In: Beiträge zur Naturkunde in Osthessen, Heft 4: 39-47.

ROER, H. (1971): Gittertore und Nistkästen als wichtige Hilfsmittel zur Erhaltung der in ihrem Bestand bedrohten europäischen Fledermäuse.  Decheniana Beih.  18,  S. 121-144.

VOIGT, J.C.W. (1783): Mineralogische Beschreibung des Hochstifts Fuld und einiger merkwürdigen Gegenden am Rhein und Mayn. – 244 S., Leipzig.


Anmerkung

Im Buch „Die Wasserkuppe – ein Berg mit Geschichte (2007)“  wird Herr Stefan Zaenker als Autor des  Artikels „Die Fledermausfauna im Kaolinstollen am Nordhang der Wasserkuppe“ genannt. Einer vereinbarten Errata zufolge muss es lauten:  Autor des Artikels ist Herr Lothar Herzig. Herr Stefan Zaenker hat den Artikel durch geringfügige Anmerkungen ergänzt.


Verfasser: Lothar Herzig, Schulstraße 13,36093 Künzell, Email: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!


Alle Abbildungen: Lothar Herzig


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